Alles schläft schon um mich her, aber ich kann nicht eher ruhen, bis ich dir, teurer Liebster, einen guten Abend gesagt habe, jetzt schläfst du wohl; ach, mir ist´s immer, als müsste ich dich aufsuchen, als hörte ich den Laut deiner Stimme. Ohne dich ist das Leben mir nur ein Traum; ich bin nie da, wo ich scheinbar bin, sondern meine Seele, meine besten, wärmsten Gefühle sind nach dir gerichtet. Wie lebst du? Um unserer Liebe willen strenge dich nicht zu sehr an, mein einziger Lieber, arbeite nicht zu viel: es kann mir so angst werden, dass du dir doch wirklich schaden könntest …
Wie klar fühle ich´s täglich und jetzt, dass nur bei dir, nur unter deinen Augen das Leben mir liebliche Blüten geben kann. Arm und leer wäre mein Herz ohne dich. Mein besseres Leben lebe ich nur bei dir! Ach, das Scheiden auf Stunden lang tut mir schon weh, und vollends auf Tage! Mir war es gestern so bang; eine lange Trennung trüge ich nicht! Ich kann mich hier gegen niemand aussprechen darüber; Linen würde es wehe tun, wenn sie fühlte, wie so weh es mir ums Herz ist. Ach, ich möchte ihr jetzt nur Freuden geben, denn sie bedarf es so sehr; es muss bald anders werden; in manchen Momenten ist mir das Verhältnis ganz unerträglich. Gute Nacht, mein Alles! Ich möchte nur Namen finden, dich zu nennen; es drück keiner aus, was du mir bist. Ich bin wohler, als ich`s erwartet habe.
Lotte
Charlotte von Lengerfeld an Friedrich Schiller | Rudolstadt, 27. Juli 1790